Berthold Brecht – Maria

Gestern in der Christmette war mir ehrlich gesagt etwas langweilig. Hatte ich in den letzten Jahren eigentlich nicht. Auf jeden Fall habe ich ein bisschen das Gesangsbuch durchgeblättert und bin dabei kurz hinter „Stille Nacht“ auf das folgende Gedicht gestoßen:

Die Nacht ihrer ersten Geburt war
kalt gewesen. In späteren Jahren aber
vergaß sie gänzlich
Den Frost in den Kummerbalken und rauchenden Ofen
und das Würgen der Nachgeburt gegen Morgen zu.
Aber vor allem vergaß sie die bittere Scham
nicht allein zu sein
die dem Armen eigen ist.
Hauptsächlich deshalb
ward es in späteren Jahren zum Fest, bei dem
alles dabei war.
Das rohe Geschwätz der Hirten verstummte.
Später wurden aus ihnen Könige in der Geschichte.
Der Wind, der sehr kalt war
wurde zum Engelsgesang.
Ja, von dem Loch im Dach, das den Frost einließ, blieb nur
der Stern, der hineinsah.
Alles dies
kam vom Gesicht ihres Sohnes, der leicht war,
Gesang liebte,
Aarme zu sich lud
und die Gewohnheit hatte, unter Königen zu leben
und einen Stern über sich zu sehen zur Nachtzeit.